Vom Mann, der in den Weltraum flog. Immersive Installationen und performative Objekte

Thematisches Wochenende im Baadischen Staatstheater, Karlsruhe

von Veronika Christine Dräxler

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Die Tür geht auf. Der Raum ist kühl und dunkel, er umschließt die Besucher. Die Tür geht zu. Lichter beginnen zu flackern. Erst unbeholfen, dann sicher, dann grazil wachen schwarze Schreibtischlampen auf. Sie scheinen miteinander zu sprechen und aufeinander zu reagieren, einer Choreografie zu folgen. Man könnte meinen sie atmen. lichtbewegt heißt die Arbeit von Hanna Lenz, die im Rahmen des thematischen Wochenendes Vom Mann, der in den Weltraum flog im Projektraum Sushila Malloy gezeigt wurde und ein Vorzeigekunstwerk ist, für den zweitägigen Diskurs über Schwellenerfahrungen1 in Kunst und Theater, der im Baadischen Staatstheater, Karlsruhe im Rahmen des Festival Premières für junge europäische Regisseure, stattgefunden hat.

Lehrende und Studierende des Fachbereichs Ausstellungsdesign und Szenografie der Staatlichen Hochschule für Gestaltung Karlsruhe und des Instituts für Theaterwissenschaft der Justus-Liebig-Universität Gießen haben Künstler und Theoretiker eingeladen, sich im offenen Podium mit Übergängen zwischen Kunst und Theater, Wechselwirkungen zwischen Subjekt und Objekt sowie den Begriffen Immersion und Performanz auseinanderzusetzen.


Kunst im Theater, Theater in der Kunst

Die tanzenden Schreibtischlampen sind ein gutes Beispiel für die ‹Bühnenhaftigkeit von Kunst› die Benjamin Wihstutz, Theaterwissenschaftler an der Freien Universität Berlin, anspricht. Er erklärt das Theater als Kunst zwischen Subjekt und Objekt und weist darauf hin, dass eben diese Dichotomie aufweicht.


Das Objekt als agierendes Subjekt

Denn Hanna Lenzs Schreibtischlampen, sind nicht mehr nur Lampen, nicht mehr nur Objekt. Sie sprechen unter sich und den Betrachter an, stehen auf keiner Bühne, aber inszenieren. Eine klare Handlungsanweisung ist ihnen vorformuliert. Außerhalb des Kunstkontexts zeigt sich dieser Übergang von Objekt zu Subjekt im ‹schlafenden Polizisten› – der Straßenschwelle, die den Autofahrer dazu veranlasst, langsamer zu fahren.

Aus dieser Erfahrung leitet sich ab, dass es nicht dem Subjekt und damit dem Menschen allein vorbehalten ist, das Maß aller Dinge (Objekte) zu sein. In diesem Sinne erklärt Tanzwissenschaftlerin Kirsten Maar berechtigte Zweifel an der gängigen Meinung, dass Subjekte über Objekte verfügen, zeigt die Möglichkeit des Tänzers als Helfers am Objekt auf und zitiert aus Baruch de Spinozas Ethik: ‹Zudem weiß niemand, auf welche Weise oder durch welche Mittel der Geist den Körper bewegt […]›, um daran zu erinnern, dass die Frage von Affizierung und Affekt keine leicht zu beantwortende ist.


Die immersive Installation als Geisterbahn

Wer oder was bestimmt also eine Handlung, eine ästhetische Erfahrung im Theater oder mit einem Kunstobjekt?

Juliane Rebentisch, Professorin für Philosophie und Ästhetik an der HfG Offenbach, spricht hierzu ‹die Beharrlichkeit der Dingwelt› als ausschlaggebenden Faktor an. Werde zum Beispiel ein Stuhl – oder eine Schreibtischlampe – mit Narrativität aufgebläht, dann verwandle sich das Ding, seine Relation zum Betrachter. Er verspürt eine Entfremdung, seine eigene Körperlichkeit (Michael Fried). Und hier kritisiert Rebentisch immersive Kunst als ‹Geisterbahnerfahrung›, als gesteuertes und geplantes Erlebnis, das den Betrachter in eine Opferrolle drängt und ihn in seinem Handlungsspielraum einschränkt und in eine ganz bestimmte Richtung zwingt. Kann aber in solch einer passiven Rolle eigenständiges Denken und Reflektieren vom Subjekt geleistet werden? Und sollte nicht genau das den Unterschied zwischen U- und E-Kunst ausmachen? Juliane Rebentisch beantwortet diese offenen Fragen mit einer neuen Frage: Was ist Kunst? Nicht aus historischer, sondern ästhetischer Sicht?

Eine Antwort darauf ließ sich an diesem Wochenende nicht finden, aber das schien auch nicht der Anspruch der Veranstaltung zu sein, sondern Einblick zu geben in das Prozesshafte aktueller Ideenströmungen in Kunst und Theater sowie dem unterschätzten Potenzial von Schreibtischlampen – und das ist gelungen.




Veronika Christine Dräxler studiert Medienkunst an der Akademie der Bildenden Künste München und an der HFG Karlsruhe. Sie ist Gründerin und Herausgeberin von Selbstdarstellungssucht.de – ein Autorenblog über Kunst, Kultur und digitale Identität.

  • 1. Vgl. dazu: Walter Benjamin: ‹Das Passagen-Werk›, Frankfurt a. M. 1983, S. 617. Dort heißt es: ‹In dem modernen Leben sind diese Übergänge immer unkenntlicher und unerlebter geworden. Wir sind arm an Schwellenerfahrungen geworden. Das Einschlafen ist vielleicht die einzige, die uns geblieben ist.›