Wenn Form Inhalt wird

Sascha Waltz – Installationen Objekte Performances
Karlsruhe, ZKM, 28. September 2013 – 30. Januar 2014 
von Johanna Ziebritzki

Bis auf ein Unterhöschen sind die Menschen nackt, die auf dem Boden liegen. Sie bilden mit ihren gestreckten Körpern einen Halbkreis, mit den Händen jeweils die Füße des Nächsten greifend.

Es sind ungefähr 15 PerformerInnen. Sie spannen ihre Körper an und halten die Spannung für etwa 30 Sekunden, wodurch der Halbkreis von Körpern zu einem lebendigen Bild erstarrt. Dann entspannen sie sich, stehen auf und gehen in natürlicher Gangart an den nächsten Ort, wo das nächste Bild entsteht: eine einfache Körperwand, die wieder durch Spannung zu einem Standbild wird, das sich wieder löst und nachdem der nächste Ort im Raum erreicht ist, wird das nächste Bild gebaut.  

Was sind diese Körper, was machen sie? Sind sie Objekte, Installationen oder Bestandteil einer Performance? Die Choreografin Sascha Waltz, gibt darauf keine Antwort. Sie ist diejenige, die die Fragen mit ihren zwischen Tanz und Körperarbeit changierenden Bewegungsabläufen in den Raum stellt.  

Die PerformerInnen interagieren kaum miteinander, reagieren untereinander nicht auf Impulse, sondern performen die erlernte Choreografie. So wie das im herkömmlichen Theater und Tanz üblich ist. Wie in einem Ameisenstaat, in dem jede Ameise weiß, was sie zu tun hat, ohne dass der Sinn der einzelnen Tätigkeiten für uns Außenstehende direkt ersichtlich ist. Wie Tiere sind die Performenden auch deshalb, weil uns ihre Bewegungsart fremd ist und das Fremde fasziniert oder stößt ab. Es evoziert in jedem Fall eine Positionierung. Die nackten, sich nach einer geheimen Ordnung bewegenden Körper faszinieren. Sicherlich auch deshalb, weil der nackte Körper an sich schön anzusehen ist. Schön anzusehen sind viele der ›performativen Installationen‹, wie Peter Weibel Waltz’ Performances im Begleittext zur Ausstellung nennt. Schöne, interessante Bilder entstehen: Wenn die PerformerInnen sich in einer Reihe, wieder Kopf an Fuß in Fötusstellung in zwei Reihen übereinander gestapelt auf den Boden legen, so dass eine Wand aus Rücken zu sehen ist. Oder wenn eine Solistin sich Reis aus Glasflaschen in ihre hautfarbene Nylonstrumpfhose gießt, so dass seltsame Beulen und Ausbuchtungen entstehen, die an Geschwüre erinnern und den zarten Körper der Tänzerin skurril verformen. Es macht Spaß zuzuschauen, wie sich die Körper bewegen, wie sie sich zu Bildern formieren und diese dann wieder auflösen. Aber dabei bleibt es dann auch: es macht Spaß zuzuschauen. Eine Geschichte erzählen die sich bewegenden Körper nicht. Das liegt nicht, wie das bei Kunstausstellungen unserer Zeit oft der Fall ist, an fehlender Information oder mangelndem Wissen. Sondern daran, dass in Sascha Waltz kurzen Performance-Stücken die Form zum Inhalt wird. Die Tänze von Sascha Waltz sollen als ›performative Installationen‹ verstanden werden. Und diese sind ästhetische Bilder. Dass die Form zum Inhalt wird, macht sich daran fest, dass der Paradigmenwechsel von der statischen zur performativen Installation selbst der Inhalt der Performances ist.    

Was dabei herauskommt sind nur mit Sascha-Waltz-Höschen bekleidet Körper, die in ihrer Verschiedenheit und Unmittelbarkeit faszinierend sind. Für das Auge sind Waltz’ Performances eine Freude. Körper können schön sein. Nackte, sich bewegende Körper noch schöner.1 Die Performances sind ästhetisch wundervoll, es ist eine Freude sie anzuschauen.

Für das Gehirn aber sind sie, nun, was sind sie eigentlich? Genau das, leer nämlich. Die Leere wird jedoch nicht selbst thematisiert, wie das im abstrakten Tanz der Fall ist. Inhaltlich befassen sich die Performances mit dem Diskurs, der seit dem Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts geführt wird: der sich um die Aufhebung der Grenzen zwischen den Kunstdisziplinen dreht sowie um den Transfer eines Mediums oder einer Disziplin in einen für sie fremden Raum oder neuen Kontext. Für ein Publikum, das von einer Ausstellung mehr erwartet als eine Show, die ihm den Sonntagnachmittag zwischen Spaziergang und Kaffee versüßt, ist die Ausstellung enttäuschend. Eine aus der Perspektive der Kunst rein selbstreferenzielle Ausstellung regt lediglich zu Diskursen an, die sich mit der Geschichte der Entgrenzung der Künste oder mit der des Tanzes beschäftigen –  über diesen kunstimmanenten Diskurskontext deutet nichts hinaus. Bei Waltz wird die eigene Kunstform zum Inhalt. Diese Selbstbezogenheit ist nicht weit entfernt von Weltfremdheit. 

„Ein Nichteinmischungpakt mit der Wirklichkeit“2 kennzeichne die heutige Kunst, schreibt Hanno Rauterberg im Oktober 2013 für DIE ZEIT. „Selbst der einzelne Künstler hält sich vornehm zurück, wenn es um gesellschaftliche Debatten geht. So gut wie nie verlässt er sein sorgsam umzäuntes Feld der Kunst. […] Wenn die Kunst nicht mehr bietet als Wohlfühlkulissen, wird sie sich rasch in eine dunkle Beliebigkeit verabschieden. Es hilft nichts, sie muss sich selbst wieder aufs Spiel setzten. Es braucht das Wagnis, der künstlerischen Fantasie, es braucht die Unabsehbarkeit der ästhetischen Erfahrung, einen Eigenwillen, der manchmal auch etwas Ungeheuerhaftes haben darf und der hinausführt aus der selbst gebauten Erfolgsfalle.“3